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Todesnachricht überbringen

Dieses Merkblatt wurde gestaltet von 

Joachim Müller-Lange,  dem landeskirchlichen Beauftragten für die Kirchliche Arbeit in Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz der Evangelischen Kirche im Rheinland

nach einer Vorlage von Schäfer/Knubben, ... in meinen Armen sterben... / ISBN 3 - 8011-0264-5


ZUNÄCHST

lesen Sie bitte diese Seiten durch, auch wenn Sie sie schon kennen. Die Fragen im ersten Teil sollen Ihnen helfen, sich aktuell auf die schwere Aufgabe einstimmen. Die praktischen Ratschläge im zweiten Teil sollen Ihnen helfen, nicht zu vergessen, was wichtig werden könnte, soweit es vorhersehbar ist. Gönnen Sie sich diese Zeit, ein gut vorbereiteter Einsatz ist die beste Grundlage für eine professionell Hilfe für die Angehörigen.

Was werden Sie antreffen? Entsetzte Hinterbliebene? Kinder darunter? Oder Eltern vielleicht, die durchdrehen könnten bei der Nachricht? Sich schreiend am Boden wälzen, mit den Fäusten auf Sie losgehen oder Ihnen stumm und hilflos schluchzend um den Hals fallen?

Oder wird alles ganz anders sein: Völlige Gefasstheit, Gleichgültigkeit oder gar Erleichterung, vielleicht sogar Genugtuung über den Tod und Hass  auf den Verstorbenen?

Sie kennen die Geschichte zwischen dem Toten und seinen Hinterbliebenen nicht, wissen nicht, ob die Ehe gut war, die Kinder o.k., wissen nichts von Liebe und Glück, nichts von Schuld und Schulden, Sie wissen nur, was die Hinterbliebenen noch nicht wissen: Ein Angehöriger ist gestorben oder verunglückt. Und Sie müssen auf alles gefasst sein.

Wie steht es mit Ihnen selbst? Werden Sie unsicher, wenn Sie Ihre Gefühle nicht verbergen können? Wenn Ihnen die Worte ausgehen und Sie einem aufgewühlten, wildfremden Menschen nur noch stumm die Hand drücken können? Oder werden Sie aggressiv, wenn wieder ein Kind, es könnte Ihr eigenes sein, von einem rücksichtslosen Autofahrer überfahren wurde? Verachten Sie den Fixer mit dem Goldenen Schuss auf dem Bahnshofsklo? Und was halten Sie von dem Mann, der sich in seiner Alterseinsamkeit am Fensterkreuz erhängt hat?

Denken Sie hin und wieder über den Tod nach, der Ihnen in Ihrem Beruf so häufig begegnet? Oder versuchen Sie, einen Bogen um den Tod zu schlagen? Doch so etwas lässt sich eigentlich nicht immer durchhalten. So etwas macht einen bei solcher Aufgabe doch nur verkrampft, korrekt oder völlig hilflos. Egal wie die Angehörigen reagieren werden, sie erwarten von Ihnen fast immer möglichst viel Einfühlungsvermögen. Wenn Sie verkrampft sind, geht das nicht. Sie sollten bereit sein, offenen Herzens und mit verletzbarer Seele für die Angehörigen in dieser Situation da zu sein, so wie diese es für ihre körperliche Unversehrtheit und den Aufruhr ihrer Seele brauchen. Das können Sie nur, wenn Sie selbst keine unüberwindbare Angst, aber auch keine Hornhaut auf der Seele haben. Doch das hängt wohl zusammen.

Routine für solche Aufgaben kann und darf es nicht geben. Ihre etwaige Unsicherheit ist im Gegenteil auch wertvoll: sie lässt Sie im positiven Fall alle Sinne öffnen für die Signale, die Ihr Gegenüber aussendet - das ist wichtig. Sie macht Sie menschlich - und selbst wenn Ihnen einmal die Augen  feucht werden sollten oder plötzlich ein hemmungslos weinender Mensch in Ihren Armen liegt, sich dessen nicht zu schämen, schon gar nicht vor dem sie begleitenden Polizeibeamten. Es kommt in diesem Moment nur darauf an, dass Ihr Gegenüber Ihr Verständnis spürt. Seien Sie also ganz da für den Hinterbliebenen und ertragen Sie seine Nähe. Schon das ist effektive Hilfe.

 

GRUNDSÄTZE

Haben Sie in Ruhe die Fragen bis hierher gelesen? Wenn nein, dann sollten Sie das zuerst tun. Denn die folgenden Ratschläge sind keine Gebrauchsanweisungen für den Umgang mit Hinterbliebenen. Die Ratschläge sind nur ein paar Hilfshinweise, Element Ihres „Notfallseelsorgekoffers“. Ob sie ihn richtig anwenden, hängt unmittelbar mit Ihrer Persönlichkeit und Ihrer Geistesgegenwart zusammen, und die erwerben Sie nicht durch Handlungsrezepte.


VORBEREITUNGEN

  • Auch wenn es zunächst viel einfacher erscheint: Geben Sie solche Nachrichten nie telefonisch durch. Sie lösen im Erleben des anderen eine Extremsituation aus.
     
  • Klären Sie Ihre Rolle...
     
  • Als Notfallseelsorger/in werden Sie immer unterstützend, nie stellvertretend tätig. Das Überbringen von Todesbenachrichtigungen ist polizeiliche Aufgabe. Ihre Aufgabe ist es, in der Begleitung einer/s Polizeibeamten/in angemessene Formulierungen zu finden und die Trauerreaktionen angemessen auffangen zu können. Lassen Sie sich nicht überreden, die Aufgabe allein zu übernehmen.
     
  • Machen Sie sich sachkundig...
     
  • Der Tote oder schwer Verletzte muß einwandfrei identifiziert sein: notfalls nachfragen. Wie ist der Unfallhergang (ohne daß Sie ihn dann ausführlich in seiner Schrecklichkeit erzählen sollten!!!) Wo befindet sich der Tote? Wer wird weitere Auskunft geben können (Arzt, Krankenhaus)? Wenn Sie sich sachkundig gemacht haben, können Sie nach dem ersten Schock ein kompetenter Gesprächspartner sein.
     
  • Manchmal, besonders in kleinen Ortschaften, lassen sich auch weitere Auskünfte einholen: Wer gehört zur Familie? Sind momentane Schwierigkeiten und Krankheiten bekannt? Sie können sich dann innerlich auf die Begegnung besser einstimmen. Fragen Sie aber keine Nachbarn, das könnte Probleme geben.
     
  • Nehmen Sie sich Zeit...
     
  • Sie müssen mindestens 60 Minuten Aufenthaltszeit in der Wohnung einkalkulieren - es kann aber auch deutlich länger dauern. 
     
  • Sprechen Sie die Funktionen ab...
     
  • Es gibt gute Erfahrungen damit, als Seelsorger/in die Nachricht zu überbringen und dem/der begleitenden Polizeibeamten/in die Fragen nach dem Unfallhergang und dem weiteren Prozedere zu überlassen. 
     
  • Sorgen Sie für Kommunikationsmöglichkeiten...
     
  • Bitten Sie den Polizeibeamten, das Funkgerät zunächst ausgeschaltet zu lassen. Es ist aber ein wichtiges Hilfsmittel, um Hilfe herbeirufen zu lassen (Hausarzt, Notarzt bei med. Notfall).
     
  • Vielleicht informieren Sie vorsichtshalber die Rettungsleitstelle, damit notfalls schnell ärztliche Hilfe geschickt werden kann. 

 
VERHALTEN VOR ORT

1. Der erste Eindruck...


Seien Sie sich bewusst: Ob Sie wollen oder nicht, Sie senden nonverbale Signale aus. Schon ein versteinerter Gesichtsausdruck lässt den Adressaten ahnen, dass etwas schlimmes auf ihn zukommt. Rechnen Sie mit Reaktionen.  
 

2. Vergewissern Sie sich der gegenseitigen Identität...


Sind Sie auch wirklich an der richtigen Adresse? Gibt es im Haus mehrere Bewohner mit demselben Namen? Fragen Sie vorsichtshalber nach: Sind Sie  die Frau von ... der Vater von ... Doch zunächst: Stellen Sie sich kurz vor. Denken Sie daran, auch die gelbe Jacke hat Signalwirkung. Sie lässt Fragen nach der Funktion unnötig werden, wird aber für das eigentlich Gespräch hinderlich sein.   
 

3. Schaffen Sie Gesprächsatmosphäre...


Die Nachricht sollte erst nach Betreten der Wohnung gesagt werden, sonst könnte hinter der verschlossenen Tür möglicherweise ein medizinischer Notfall eintreten. Wenn man Sie nicht einlassen will, ist der Satz: Ich muss Ihnen eine schlimme/traurige Nachricht bringen. meist der richtige Türöffner. Er eignet sich auch als Überleitung zur eigentlichen Nachricht. Und wenn Sie dann noch stehen sollten: Können wir uns nicht hinsetzen? Denn es wird besser sein, wenn die/der Hinterbliebene die Nachricht sitzend erfährt, für den Fall, dass sie/er im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen verliert.  
 

4. Konzentrieren Sie sich auf die/den Adressaten/in...


Anwesende Unbeteiligte und Kleinkinder sollten anfangs möglichst nicht zugegen sein (Nebenzimmer).  
 

5. Konzentrieren sie sich auf die Aufgabe...


Inzwischen ist der/die Hinterbliebene auf das Schlimmste gefasst: Sagen Sie jetzt Ihre Nachricht ohne Umschweife und ohne falsche Hoffnung zu lassen: „Ihr Mann hatte vor zwei Stunden einen Verkehrsunfall und starb noch an der Unfallstelle.“  


6. Konzentrieren Sie sich auf die Trauerreaktionen...


Jetzt lassen Sie der/dem Hinterbliebenen Zeit für Ihre/seine Reaktion. Alles ist möglich. Seien Sie offen und verständnisvoll - Mitleids- und Beileidsfloskeln werden in der Regel nicht erwartet, sondern Ihr Verständnis und Ihre momentane Anteilnahme als Zeuge dieses schrecklichen Augenblicks.

 

  • Bei stark emotionaler Reaktion - Zeit lassen! 

 

  • Fällt man Ihnen um den Hals, geht man Sie tätlich an - in den Arm nehmen!

 

  • Bleibt die Emotion aus, wirkt die/der Hinterbliebene starr und verschlossen -  Achtung: Es kann sich ein Kollaps anbahnen. Sie/Er kann Sie auch möglichst schnell aus der Wohnung haben wollen - Suizidgefahr!

 

  • Bei körperlichem Zusammenbruch oder nicht nachlassenden Hysterieanfällen - Arzt rufen!

 

  • Ist der Angehörige offensichtlich erleichtert über den Tod - Achtung: Nicht moralisch verurteilen, sondern auch in diesem Fall behutsam verstehend nachhören!

 

  • In der Regel gilt: Wenn der erste Schock vorüber ist, fragen Sie nach dem Verstorbenen, interessieren Sie sich dafür, was er für ein Mensch war, was er seinen Hinterbliebenen bedeutet hat. Sie bekunden damit mehr Anteilnahme als durch ein „Herzliches Beileid“.

    Achtung: Diese Fragen können dazu dienen, dem Angehörigen zu zeigen, dass jemand bemüht ist, auf seine schreckliche Lage einzugehen. Anknüpfungsbeispiele: „Das muss ein fürchterlicher Verlust für Sie sein... Sie haben ihn/sie sehr geliebt!?... Er/sie hat ihnen viel bedeutet... Sie hatten ein gutes Verhältnis zueinander.. Erzählen sie doch etwas über ihn/sie..“

    Leiten Sie dann über auf anstehende Probleme, bringen Sie aber keine Lösungen, das ist nicht Ihre Aufgabe. „Wie wird es nun weitergehen? Haben sie jemanden, der Ihnen zur Seite steht?“ Lassen Sie dem Hinterbliebenen Zeit, seine Antworten zu finden! „Kann ich etwas für sie tun? Gibt es jemanden, den Sie jetzt in Ihrer Nähe haben möchten?“
     

7. Sorgen Sie für weitergehende Begleitung...


Sie sollten in der Regel nicht gehen, ohne eine zuverlässige Person in der Wohnung zu hinterlassen: einen emotional nicht so stark betroffener Verwandten oder Freund oder einen Nachbarn.  
 

8. Hinterlassen Sie als Notfallseelsorger/in Ihre Erreichbarkeit...


Nutzen Sie Ihre Visitenkarte und benennen Sie eine Kontakttelefonnummer der Polizei, damit die/der Hinterbliebene weitere Einzelheiten erfragen kann, ohne „herumgereicht“ zu werden.  
 

9. Übergeben Sie an die/den parochialen Seelsorger/in...


Die Übergabe an die/den zuständigen Seelsorger/in ist Bestandteil Ihres Auftrages. Nutzen Sie das entsprechende Formblatt in Ihrem Notfallseelsorgekoffer und/oder rufen Sie an.
 

NACHBEREITUNGEN

  • Verdrängen Sie Ihr Erlebnis nicht! Gehen Sie noch einmal alles in Gedanken durch.

  • Ist der/die Hinterbliebene auch wirklich unter helfender Kontrolle und eine Kurzschlussreaktion weitgehend ausgeschlossen?

  • Wie fühlen Sie sich? Erleichtert, verunsichert, gekränkt, aufgewühlt, verärgert oder ... ?

  • Fahren Sie möglichst noch mit zurück zur Wache und sprechen Sie die Situation und auch Ihre Gefühle möglichst mit der/dem Polizeibeamten durch. Fragen Sie sie/ihn, wie sie/er es erlebt hat, wie sie/er sich fühlt.

  • Verabreden Sie ggf. mit der/dem zuständigen Seelsorger ein Nachgespräch, damit Sie erfahren, wie die Begleitung weitergegangen ist. Das hilft Ihnen, ein gutes Gefühl zu behalten, dass Sie den Einsatz abgegeben haben.

  • Fordern Sie Supervision ein, wenn Sie das Gefühl bekommen, bis an den Rand Ihrer Belastung geführt worden zu sein oder gar darüber. Gerade dafür ist der Supervisor der Notfallseelsorge da.

 

Nun haben Sie Ihre Gedanken gesammelt und sind auf Ihre Aufgabe gut eingestimmt. 


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